Fail Fast
Wie ich meinen Job verlor, einen Totalverlust verkraften musste, COVID-19 die Welt ins Chaos stürzte und was ich daraus lernte
Ich habe bei Wirecard gearbeitet - einem DAX30 Unternehmen, das einen der größten Wirtschaftsskandale der letzten Dekaden verursachte. Dies ist meine Geschichte.
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Hätte mir jemand Anfang 2020 erzählt, dass die Menschen aufgrund einer Pandemie weltweit zu Hause bleiben müssen, die Arbeitslosigkeit stark steigen wird, viele Unternehmen existenziell bedroht sein werden und ich ebenfalls meinen Job bei einem DAX30 Unternehmen als Teil eines Zukunftsmarktes verlieren werde. Nicht aber aufgrund der Pandemie, sondern weil es die Umsätze fabriziert, ich hätte Tränen gelacht.
Nun, mein Netflix-Abo kann jetzt wohl kündigen. Welche Serie kann das noch toppen?
Aber von vorne…
Als ich ende 2018 damit anfing zu investieren, startete ich mit ETFs - die einfachste und sicherste Form des Investierens. Nachdem ich mehrere Bücher gelesen hatte, war ich mir sehr sicher, dass man den Markt nicht schlagen könne. Daraufhin verschlang ich allerlei Literatur, wie z.B. Christian Thiels Buch. Vor allem nach der Entdeckung von The Motley Fool war ich mir nicht mehr so sicher.
Also begann ich, in einzelne Aktien zu investieren, wie Mastercard und Nvidia. Meine erste Aktie überhaupt war zu meiner Schande Heidelberger Druck. Eher ein Testkauf. Ich hielt sie für einige Monate und verkaufte sie mit 2 € Gewinn. Für mich war dieser Verkauf entscheidend, da mir diese 2 € tatsächlich zeigten: Ich kann aus einer Summe Geld noch mehr Geld machen.
Wirecard
Im Februar 2019, nach einem der Berichte in der Financial Times, entdeckte ich Wirecard durch die kleine Finanzzeitung. Ich hatte den Namen noch nie zuvor gehört. "Unterbewertet" und "bester CEO von Deutschland" hörte man. Also kaufte ich eine
kleine Position. Alles außer diesen Berichten sah gut aus. Nachdem Wirecard und deutsche Behörden begannen, die Financial Times zu verklagen, war ich zuversichtlich, dass Wirecard ein gutes Unternehmen sei.
Am meinem letzten Tag nach der Laptop-Abgabe machte ich dieses Foto
Vom Aktionär zum Angestellten
Zu dieser Zeit war ich selbstständig (aus diversen Gründen war ich aber offen für neue Möglichkeiten – eine andere, lange Geschichte). Eines Tages stöberte ich aufgrund meines Aktienkaufes auf der Website von Wirecard und stieß auf ein Jobangebot. Zufällig passte es zu meinem Profil und an diesem Tag war ich wohl spontan. Ich lud meinen Lebenslauf hoch mit dem Gedanken, dass sie sich sowieso nicht melden würden. Aber sie taten es.
Nur einen Monat später begann ich bei Wirecard zu arbeiten und war am Anfang sehr motiviert. Endlich etwas Neues, an dem ich arbeiten konnte. Das Team, in dem ich arbeitete, war eine Art Startup innerhalb dieses großen, komplexen Wirecard-Universums. In den ersten Wochen absolvierte ich einige interne Schulungen namens "Tech Competence Center", in denen die gesamte Wirecard-Struktur, die Funktionsweise der Zahlungswelt etc. vorgestellt wurde. Es war sehr kompliziert und komplex. Es war sehr schwierig nachzuvollziehen, was Wirecard wirklich macht. Selbst danach verstand ich noch immer nicht wirklich, was genau Wirecard machte.
Wenige Monate später, Ende 2019, begann ich zu zweifeln. An dem, was wir machten. An mir selbst. Es fühlte sich an, als ob man gegen eine Wand arbeitet. Es gab Tage, da tauschte ich mich mit einem meiner Kollegen ungläubig über diverse Entscheidungen aus. Wir konnten einige dieser Entscheidungen einfach nicht nachvollziehen.
[Ich habe diesen Teil nicht mit veröffentlicht, da ich nicht sicher bin, in wie fern ich noch einer Verschwiegenheitspflicht zu diversen Details unterliege]
Letztendlich habe ich die Diskrepanz zwischen der Story, dem geringen Marketing-Budget und diverse vor uns liegende Hindernisse nicht verstanden. Auch wenn ich diverse Painpoints ansprechen wollte wurde mir nahe gelegt, es positiver darzustellen. Das war für mich der Wendepunkt.
Hier ist mir auch klar geworden: Ich möchte niemals in einem Arbeitsumfeld arbeiten, in dem man Probleme nicht offen ansprechen kann.
Ich spielte immer öfter mit dem Gedanken, früher zu gehen – anstatt volle zwei Jahre dort zu arbeiten, so wie ich es mir Anfangs vorgenommen hatte. Auch erinnere mich an ein Gespräch mit Kolleginnen, in dem ich meine Gefühle äußerte. Sie entgegneten, dass ich doch zufrieden sein solle, besonders in aktuellen Zeiten einen sicheren Arbeitsplatz zu haben. Im Nachhinein pure Ironie.
Am meinem letzten Tag nach der Laptop-Abgabe machte ich dieses Foto
COVID-19
Wir fingen an im Home-Office zu arbeiten. Der KPMG-Bericht, der alles glattbügeln sollte, wurde veröffentlicht. Er war aber verheerend. Auf fast jeder Seite wurde erwähnt "wir nicht in der Lage waren, zu bestätigen oder zu leugnen, dass XXX wahr/existent ist" (z.B. die 1,9Mrd Cash-Position).
Aber Wirecard war wieder einmal sehr defensiv und überzeugend, dass alles in Ordnung sei. Vieles wurde auf COVID-19 geschoben. Das man aufgrund der Situation nicht an alle Daten kommen würde. COO Jan Masalek und der CFO haben in einem internen virtuellen Meeting recht motiviert und schwellbrüstig drumherum geredet. Der Aktienkurs hat darunter nicht wirklich gelitten. Eines Tages veranstaltete das Management ein internes virtuelles All Hands Meeting, bei der die vier Vorstände Fragen beantworteten.
Markus Braun erwähnte lachend in seinem Österreichisch-Englisch zu uns - den Mitarbeitern:
Haha, in der Tat sind wir unterbewertet. Und traut nicht den Quellen, die wollen, dass ich zurücktrete. Das ist völliger Unsinn.
Dieses Detail hatte mich damals dazu bewogen, weiter an meiner kleinen Position festzuhalten.
Was geblieben ist: Ein Hoodie
Ende Juni 2020
Alle warteten auf den Jahresbericht, der als endgültigen Beweis dafür dienen sollte, dass alles in Ordnung sei. Er wurde jedoch nie veröffentlicht, wie wir jetzt wissen. Ich schätze, die meisten von Euch kennen die weitere Geschichte:
Das Management war erneut defensiv. Ein Treuhänder, ein Anwalt auf den Philippinen, handhabt die 1,9 Mrd. Barmittel. Aber wenn man ihn googelte, fand man einen Familien-Anwalt, der von einer anderen Firma wegen diverser betrügerischer Vergehen entlassen wurde. Erreichen konnte man den Typen - der 1.9 Mrd. verwaltet - über eine @hotmail-Adresse. Warum in aller Welt sollte eine deutsche Bank ihr Bargeld überhaupt in eine Bank auf den Philippinen bringen? Überraschenderweise hat nie jemand danach gefragt.
Der Aktienkurs stürzte innerhalb von wenigen Tagen von 100 € auf 3 € ab. Ich verkaufte meine Position bei ca. 25 €. Dr. Markus Braun (CEO) wurde verhaftet, Jan Masalek (COO) floh in ein anderes Land und wird noch immer gesucht. Ein neuer Interim-CEO übernahm das Amt - ein Mann, der dem Vorstand im Juli als Chief Compliance Officer beitreten sollte. Der arme Kerl. 1,9 Milliarden Euro an Bargeld hat nie existiert. Es ist anscheinend fast alles, was Wirecard hatte. Dem gegenüber standen mehrere Milliarden an Krediten von anderen Banken.
Was geblieben ist: Eine Laptoptasche, ein Hemd, zwei Hoodies, ein Regenschirm, ein Schlüsselbund, ein paar Anstecker
Wirecard - Die Insolvenz
Der überwiegende Teil der Mitarbeiter hatten offensichtlich keine Ahnung darüber, was vor sich ging. Einige kauften sogar Aktien, nachdem der Kurs abrauschte. Der engere Kreis meiner Kollegen fragten mich an diesem Tag, ob sie nachkaufen sollen. Ich riet ihnen aufgrund des Vertrauensverlustes des Managements dringend davon ab. Auch hatte ich das Gefühl, dass es teilweise Wochen dauerte, bis wirklich alle verstanden, was da vor sich ging. Dass Wirecard vor der Insolvenz stand und sie demnächst auf der Straße stehen werden.
Wer mehr darüber erfahren möchte, was anscheinend wirklich vor sich ging (u.a. „Round Tripping“), der findet hier ist eine gute Zusammenfassung: https://www.mca-mathematik.com/fraud.
Inzwischen ist eine Aktie nur noch 0,65 € wert. Und auch von dort kann und wird die Aktie wohl noch einmal um -100% fallen. Kursziel: 0 €.
Interessanterweise war meine Wirecard-Position nie größer als 3% meines Portfolios, obwohl ich an der Quelle arbeitete. Während ich Unternehmen in meinem Portfolio habe, die über 10% groß sind und auf einem anderem Kontinent sitzen. Hierfür war wohl mein „Confidence-Level“ verantwortlich. Meinem Portfolio (auch zu sehen auf Wikifolio) hat es offensichtlich nicht geschadet. Ich bin mir allerdings sicher, dass ich mich früher von der Wirecard-Aktie getrennt hätte, wenn ich dort nicht gearbeitet hätte.
Investiere in die Realität, nicht in Hoffnung.
Ich bin dankbar. Die Ereignisse machten mich meiner Meinung nach zu einem besseren Investor. Nur weil der Aktiekurs eines Unternehmens steigt, obwohl jenes Unternehmen über Jahre hinweg zweifelhaften Anschuldigungen unterliegt, heißt es noch lange nicht, dass alles in Ordnung ist.
Der Kurs Wirecards ist über eine ganze Dekade hinweg - trotz sämtlicher negativer Berichte - kontinuierlich gestiegen. Und an nur einem einzigen Tag löste sich alles in Luft auf.
Man muss nicht auf jeder Hochzeit tanzen. Irgendetwas fühlt sich permanent „falsch“ an? Man versteht das Unternehmen aufgrund seiner Komplexität nicht, während kontinuierlich nachvollziehbare Short-Seller-Berichte veröffentlicht werden? Get The Hell Out! Der Markt ist nicht alternativlos. Ich habe hier einen Beitrag dazu verfasst.
Fail fast. And Succeed.
Nicht Erfolge lassen dich wachsen, sondern Misserfolge. Ob im Job, als Investor oder im Leben allgemein. Lerne Misserfolge lieben und lerne daraus. Ich bin überzeugt davon, dass dieses Mindset den Weg zum Erfolg ebnet. Ich weiß einmal mehr, was ich will und was ich nicht will. Fail fast ist ein Lebensmotto, dass dabei hilft zu sich selbst zu finden.
Nachdem COVID-19 die Welt in ein Chaos stürzte, mein Arbeitgeber Pleite ging, eine meiner Positionen um - 99% an Wert verlor, steht mein Portfolio bei + 110% seit Jahresanfang (auch bei Wikifolio zu finden).
Nach der Insolvenz gab es 3 Monate Insolvenzgeld, welches vollen Monatsgehältern entsprach. Innerhalb dieser Zeit wurde ich von mehreren Unternehmen kontaktiert und zu diversen virtuellen Job-Interviews eingeladen. Via Zoom natürlich.
Inzwischen arbeite ich bei einem Startup. Ein SaaS Unternehmen mit hohem Wachstum.
Auch wenn es abgedroschen klingt, aber ich bin mir sicher: Egal, wie es kommt, es hat alles einen Sinn im Leben. Manchmal erkennen wir ihn sofort, und manchmal erst nach langer Zeit.
Danke für deine Zeit.
P.S. Andere haben Hilfe wirklich dringend nötig. Deshalb spende ich aktuell regelmäßig Geld an das Tierheim München. Aufgrund von COVID-19 kann man die Tiere nicht besuchen und ich denke, sie brauchen die Unterstützung aktuell besonders dringend. Ich möchte dich damit inspirieren auch in ein Projekt deiner Wahl zu spenden. Anregungen findet man hier. :)
Mein Portfolio
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Dieser Artikel ist nur für informative Zwecke und stellt keine Anlageberatung dar. Details findest du in unserem Haftungsausschluss.
Hey Moritz, kann man denn irgendwo mit dir Kontakt aufnehmen? Ich fand den Artikel echt spannend. Habe es auf Twitter funktioniert, aber da kann man dir nicht schreiben. Danke .)